Mittwoch, 10. Februar 2016

Ich verbitte mir diesen Ton, Sie Arschloch!

Über den Niedergang der Umgangsformen

Andreas Hock

Riva Verlag


Andreas Hock brach sein Studium der Rechtswissenschaften vor dem Examen ab, um Journalist zu werden. Nach seiner Arbeit bei der „Nürnberger Zeitung“ und der „Abendzeitung für Nürnberg und München“ wechselte er zum Pressesprecher der CSU-Landesleitung München. Mit einem tiefen Einblick in die Politik kam er an die Spitze der Nürnberger „AZ/8-Uhr-Blatt“. Kurz nach dem Verkauf des Traditionsblattes entschloss sich Hock, als freier Journalist und Autor tätig zu werden.
Seither schrieb er mehrere Bücher, die mit dem Spiegel Bestseller-Autor deklarieret wurden.

In „Ich verbitte mir diesen Ton, Sie Arschloch!“ zeigt er die Umgangsformen der heutigen Gesellschaft auf der Grundlage von Adolph Freiherr von Knigge auf. Dies im direkten Vergleich zur Generation seiner Großeltern. Er nimmt
  •          Respekt
  •          Hilfsbereitschaft
  •          Bescheidenheit
  •          Kameradschaft
  •          Rücksicht
  •          Geduld
  •          Loyalität
  •          Zurückhaltung
  •          Benehmen

genau unter die Lupe, stellt anhand vieler Beispiele, Studien sowie Umfragen seine Meinung dar und uns einen Spiegel vor Augen.

Anhand des Titels erwartete ich etwas Humoristisches. 

Doch Humor, in welcher Art auch immer, suchte ich vergebens. 

Oder ist es nur nicht meiner?
So war ich– mit vielen Widerworten zu seinen Thesen – schnell gewillt dieses Buch dem Staub des Regales preiszugeben. Doch je tiefer ich eindrang, je weiter ich Seite für Seite sowie Kapitel für Kapitel weiter las, musste ich ihm mehr und mehr recht geben. Viele der Eigenschaften, die ein soziales Miteinander ausmachen sind verloren gegangen. Und schlimmer noch, sie werden bewusst vertrieben, aberzogen, verlacht und verpönt.

Andreas Hock beginnt sein Buch mit der Geschichte des heutigen Knigge und dem, was Adolph Freiherr von Knigge an sich publizierte. Schon hier dürfte sich der eine oder andere wundern.

Mich irritierte Anfangs der Vergleich unseres Alltags mit der Generation seiner Großeltern. Begonnen beim Respekt, der sich heute sehr in Grenzen hält, klagt er die gegenwärtigen Generationen an. Respekt vor Amtsträgern, Respekt vor Polizei und Lehrern - oder überhaupt vor Mitmenschen? Fehlanzeige. Auch wenn er den Nagel auf den Kopf schlägt, sollten wir nicht dem nachgehen, woher das kommt? Ist wirklich die antiautoritäre Erziehung schuld daran? Wo wird denn begonnen, die Autorität zu untergraben und wie? Schauen wir doch einmal in die Medien. Dabei meine ich nicht die sozialen Netzwerke. Was wird uns von Amts- und Würdenträger gezeigt und berichtet? Was wird über Lehrer gezeigt und berichtet? Was wird über …? Als Journalist sollte er sich auch dieses genauer betrachten.

Hock klagt an, dass viele alte Menschen sich allen entfremden sowie in tiefer Einsamkeit untergehen und sterben. 

Selbst die, die Familie haben, finden sich irgendwann in Altenheimen wieder, wo sie allein dahinsiechen. Doch er fragt nicht, ob es anders überhaupt machbar ist. Familien, in denen beide Elternteile arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt zu sichern, können in einem Leben mit 24 Stunden pro Tag nicht noch Kraft und Zeit für die Pflege aufbringen. Diesem sollte der Autor einmal objektiv nachgehen.

Hock klagt an, den Mangel an Zivilcourage. 

Schaut er auch, warum dies so ist? Leider nicht. Er vergleicht nur wie es war und wie es heute ist. Sicher mit recht, doch die Frage nach dem Warum und dem Weshalb erfolgt nicht.


Genau so ist es bei der Bescheidenheit. 

In jeder Werbung wird den Menschen gezeigt, was man so haben muss, wie man sich darzustellen hat…
Wo soll denn Bescheidenheit herkommen, wenn schon in der Grundschule Kinder gemobbt werden, weil sie keine Markenkleidung besitzen? 
Wo soll Bescheidenheit herkommen, wenn man zu einem Geschäftstermin mit einem Fiat kommt, der entsprechende Partner einen begrüßt und sich dann schnell verabschiedet. Wochen später, wenn man einen großen Mercedes -Benz fährt, plötzlich auf einen zukommt? 
All das saugen unsere Kinder mit der Muttermilch auf. Sie sehen, wie Lehrer Lieblingskinder haben und wie Eltern alles gegen Lehrer durchsetzen. Was ist noch richtig, was ist falsch?

In Stellenanzeigen oder Ausbildungsanzeigen werden junge Leute gesucht, die komplett ausgebildet sind und am Besten noch große Berufserfahrung besitzen. Schon Verkäufer werden heute mit Realschulabschluss oder besser Abitur gesucht. Wer sucht noch jemanden, der seinem Beruf mit Liebe nachgeht?

Und so klagt er an und klagt an. Klagt Hock an?

Der Autor zeigt einfach nur Tatsachen auf. Belegt die Unterschiede und überlässt es dem Leser, darüber nachzudenken. 
Andreas Hock schreibt: „Es ist ein Spiegelbild unserer Zeit, dass wir, die wir selbst immer häufiger die nötige Aufrichtigkeit vermissen lassen, von Protagonisten regiert werden, denen wir ebenfalls nicht mehr recht glauben wollen.“

Und recht muss ich dem Autor geben, 

auch wenn es immer wieder schmerzt, in den Spiegel zu sehen, wir sind auf dem Weg eine narzisstische Gesellschaft zu werden. Eine EGO-Gesellschaft sind wir bereits. 

Fast. Denn es gibt noch ein paar Lichtblicke, 

einige Generationen – ich denke da an die 1994 - 1996 Jahrgänge – sind gerade diesbezüglich auf einem guten Weg. Sie suchen und nutzen die alten Werte.
Wir selbst haben es in der Hand. Wir selbst müssen entscheiden: Wo wollen wir leben? Wir selbst haben es in der Hand: In welche Gesellschaft wollen wir leben?
Es liegt alleinig an uns!

Der Autor beendet das Buch mit einem Quiz. Man könnte meinen, es ist die Frage: Hat der Leser ihm die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, also den nötigen Respekt gezollt? Oder hat er alles nur oberflächlich überflogen? 

Fazit:

Alles in allem lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Lohnt es sich, Fragen zu stellen. Lohnt es sich, sich Gedanken zu machen.