Sonntag, 26. Mai 2013

Ich bleibe so scheiße wie ich bin

Lockerlassen und mehr vom Leben haben

Rebecca Niazi-Shahabi
PIPER Verlag


Rebecca Niazi-Shahabi
Rebecca Niazi-Shahabi stammt aus einer deutsch-israelisch-iranischen Familie und lebt in Berlin. Dort hält die Autorin Seminare zum Thema Charisma und arbeitet als Journalistin sowie Werbetexterin. Das ist der Satz, der überall zu finden ist. In ihrem Buch erfährt man, dass sie ihr Psychologiestudium selbst finanzieren musste und das sie Seminare für literarisches/kreatives Schreiben gibt. 
Rebecca Nizazi-Shahabi benennt das Thema Selbstverbesserung / Weiterentwicklung zu ihrem persönlichem Widersacher. Gezielt geht sie gegen alle Ratgeber vor und zeigt mit Zitaten, die die Kapitel einleiten, den Weg zu neuer Klarheit, Leichtigkeit und dem Leben im Allgemeinen.
Es geht um Glaubwürdigkeit – warum den 1000sten Ratgeber noch lesen, wenn die vorherigen 999 schon nicht geholfen haben? Warum mich ändern wollen, wenn ich damit nicht wirklich glücklicher werde und eher das Gegenteil der Fall ist? Das Beste ist, so zu sein und sich so zu geben, wie man eben ist. Nichts tun, nichts ändern, nichts bewirken – einfach nur da.
Am Ende jeden Kapitels kann man, für den eigenen Ausblick in das zukünftige Leben und für empfohlene Handlungsweisen einige Fragen beantworten.

Zugegeben, ich bin zu diesem Buch gekommen, wie das Kind zum Bade.

Auch nach der Lektüre bin ich mir sicher – ich gehöre nicht zur gewünschten Zielgruppe der Autorin.
Ausgewählt wurde es von einer jungen Frau anhand der Farbe, des reißerischen Titels, des Aufklebers „Bestseller“ und auch durch den iranisch-israelischen Namen der Autorin.
Der Klapptext las sich gut. Viele begeisterte Kritiken tingeln durch das Netz, also landete das Buch auf meinem „Lesetisch“.

Ironie, Sarkasmus oder Ernst?


Bis heute zweifle ich an meinem Empfinden beim Lesen. Was will uns die Autorin damit auf den Weg geben?
„‘Ich bleibe so scheiße, wie ich bin‘ ist der amüsante Befreiungsschlag zum Mehr –Wollen, Mehr-Erreichen und Mehr-Sein.“ OK – Humor ist so eine Sache und vielleicht ist es eben nicht meiner. Vielleicht sehe ich es auch nur zu verbissen?

Auffallend ist in diesem Buch eine allgemeine Pauschalisierung

und schlechte Recherche der aufgeführten Fakten. Zum Beispiel gliedert sich das Christentum in die römisch-katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen, die protestantischen und die anglikanischen Kirchen. Warum sind nun die Protestanten schuld an unserem heutigen Streben nach Verbesserung? Gerade Protestanten legen vor Gott nicht Rechenschaft über das im Leben Erreichte sondern über das Leben und Handeln im Sinne der Menschlichkeit ab. Dies gibt es auch in anderen Religionen und hat nichts mit dem menschlichen Drill zu tun, den die Autorin beschreibt.
Hier werden Ausreden mit Ausreden bekämpft. Ironie? Sarkasmus? Fest steht, annehmen kann ich das hier Hinterlassene nicht.

Doch dazwischen sind immer wieder ernsthafte und tolle Gedanken.


So meint Niazi-Shahabi zum Beispiel: „Ich weigere mich aber zu glauben, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn man einer Tätigkeit nachgeht, die einen unglücklich macht.“
Große Menschen zeigen es. Wenn man seine Tätigkeit liebt, sie engagiert betreibt, dann wird man damit auch erfolgreich. Wobei „erfolgreich“ vom eigenen Blickwinkel zu sehen ist. Nicht für jeden ist Erfolg gleich zu setzen mit Geld oder berühmt zu sein.


Immer wieder blitzen helle Gedanken im trüben Text auf. Leider werden diese nicht verfolgt und von den folgenden unbedeutenden Aussagen schnell wieder verschüttet.

Sind die existierenden Ratgeber unbefriedigend, muss der Antiratgeber her.

Wir sind gegen alles, was schon einmal gesagt, geschrieben, gezeigt oder publiziert wurde. Auffallen und provozieren! Der richtige Weg bemerkt und/oder berühmt zu werden?
Wenn Selbstverbesserung / Weiterentwicklung nicht möglich ist, warum gibt Rebecca Niazi-Shahabi dann überhaupt Seminare zum Thema Charisma? Wer geht zu einem Seminar, bei dem die Trainerin nicht an das Ergebnis glaubt? Schließlich geht es hierbei doch auch um Veränderung und Verbesserung.

Für mich klingt das Alles mehr nach persönlichem Frust.

Wenn es nach der Autorin geht, kann man sich eigentlich nur erschießen, denn alles, was kommt, ist schlecht für mich oder aber ich geh an Langerweile ein. Es gibt einfach keine Hoffnung. Das richtige Buch für Selbstmörder. Es liefert massig Argumente, um dem Leben schnell ein Ende zu setzen. Doch wie passt dies mit dem extremen Wunsch der Autorin, immer im Mittelpunkt zu stehen, zusammen? Ist dieses Buch für sie selbst eine Art „Schreiben als Therapie“?
Irritiert haben mich die Fragen von Rebecca Niazi-Shahabi am Ende der Kapitel. Als ausgebildete Journalistin sollte sie die Regeln kennen. Doch viele der Fragen sind suggestiv und vor allem sind es Doppelfragen. Auch sind sie keinesfalls selbst erläuternd. Was soll das Ergebnis des Ganzen sein? Sag ich ja und strenge mich weiter an, oder bin ich ein Lama? Übrigens:
„Lamas und Alpakas sind erstaunlich wachsame und neugierige Tiere. Sie sind sehr an ihrer Umwelt interessiert, nehmen jede kleine Veränderung wahr. Ihr Sozialverhalten ist sehr ausgeprägt.“
http://www.begegnung-mit-tieren.de/lama-alpaka-charakter.php

Niazi-Shahabi benennt die vielen Fernsehshows, wie zum Beispiel DSDS, in denen jungen Menschen ohne eigene Leistung zu erbringen, viel Geld verdienen wollen. Sorry, bekommen wollen trifft es wohl eher.
Auch beschreibt sie beide Seiten des „berühmt seins". Ja, wo Licht ist, ist auch Schatten und je heller es scheint, um so mehr Schatten gibt es. Doch will man die Sonnenseiten des Lebens, muss man die Schattenseiten akzeptieren. Wer macht sich von den Jugendlichen darüber eigentlich Gedanken? Wer zeigt ihnen, worauf sie sich einlassen, was auf sie zukommt?

Vor allem aber, welche Rolle spielen gerade dabei die Medien?


Nachdem ich mich, im wahrsten Sinne der Worte, durch das Buch quälte, kam doch noch ein Lichtblick. Für mich das wichtigste und auch ernsthafteste Kapitel des Buches ist das Letzte. Gesellschaftskritisch benennt die Autorin zum Beispiel den Missstand zwischen Erwartungen und möglichen Leistungen von Angestellten. Die Anforderungen, die heute an Arbeitnehmer gestellt werden, sind überzogen und doch versuchen viele Menschen, diese zu erfüllen. Das Ergebnis:

Kollektives Burn-out

Gerade dieses Thema wäre es wert, genauer untersucht zu werden. Also Rebecca Niazi-Shahabi – ran an die Recherche.

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