Lockerlassen und mehr vom Leben haben
Rebecca Niazi-Shahabi
PIPER Verlag
Rebecca Niazi-Shahabi stammt aus einer
deutsch-israelisch-iranischen Familie und lebt in Berlin. Dort hält die Autorin
Seminare zum Thema Charisma und arbeitet als Journalistin sowie Werbetexterin.
Das ist der Satz, der überall zu finden ist. In ihrem Buch erfährt man, dass sie
ihr Psychologiestudium selbst finanzieren musste und das sie Seminare für
literarisches/kreatives Schreiben gibt.
Rebecca Nizazi-Shahabi benennt das Thema Selbstverbesserung
/ Weiterentwicklung zu ihrem persönlichem Widersacher. Gezielt geht sie gegen alle
Ratgeber vor und zeigt mit Zitaten, die die Kapitel einleiten, den Weg zu neuer
Klarheit, Leichtigkeit und dem Leben im Allgemeinen.
Es geht um Glaubwürdigkeit – warum den 1000sten Ratgeber noch lesen, wenn die
vorherigen 999 schon nicht geholfen haben? Warum mich ändern wollen, wenn ich
damit nicht wirklich glücklicher werde und eher das Gegenteil der Fall ist? Das
Beste ist, so zu sein und sich so zu geben, wie man eben ist. Nichts tun,
nichts ändern, nichts bewirken – einfach nur da.
Am Ende jeden Kapitels kann man, für den eigenen Ausblick in das zukünftige
Leben und für empfohlene Handlungsweisen einige Fragen beantworten.
Zugegeben, ich bin zu diesem Buch gekommen, wie das Kind zum
Bade.
Auch nach der Lektüre bin ich mir sicher – ich gehöre nicht zur
gewünschten Zielgruppe der Autorin.
Ausgewählt wurde es von einer jungen Frau anhand der Farbe, des reißerischen
Titels, des Aufklebers „Bestseller“ und auch durch den iranisch-israelischen
Namen der Autorin.
Der Klapptext las sich gut. Viele begeisterte Kritiken tingeln durch das Netz,
also landete das Buch auf meinem „Lesetisch“.
Ironie, Sarkasmus oder Ernst?
Bis heute zweifle ich an
meinem Empfinden beim Lesen. Was will uns die Autorin damit auf den Weg geben?
„‘Ich bleibe so scheiße, wie ich bin‘ ist der amüsante
Befreiungsschlag zum Mehr –Wollen, Mehr-Erreichen und Mehr-Sein.“ OK – Humor
ist so eine Sache und vielleicht ist es eben nicht meiner. Vielleicht sehe ich
es auch nur zu verbissen?
Auffallend ist in diesem Buch eine allgemeine Pauschalisierung
und schlechte Recherche der aufgeführten Fakten. Zum Beispiel gliedert sich das
Christentum in die römisch-katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen, die
protestantischen und die anglikanischen Kirchen. Warum sind nun die
Protestanten schuld an unserem heutigen Streben nach Verbesserung? Gerade
Protestanten legen vor Gott nicht Rechenschaft über das im Leben Erreichte
sondern über das Leben und Handeln im Sinne der Menschlichkeit ab. Dies gibt es
auch in anderen Religionen und hat nichts mit dem menschlichen Drill zu tun,
den die Autorin beschreibt.
Hier werden Ausreden mit Ausreden bekämpft. Ironie?
Sarkasmus? Fest steht, annehmen kann ich das hier Hinterlassene nicht.
Doch
dazwischen sind immer wieder ernsthafte und tolle Gedanken.
So meint Niazi-Shahabi zum
Beispiel: „Ich weigere mich aber zu glauben, dass etwas Gutes dabei
herauskommt, wenn man einer Tätigkeit nachgeht, die einen unglücklich macht.“
Große Menschen zeigen es. Wenn man seine Tätigkeit liebt, sie engagiert
betreibt, dann wird man damit auch erfolgreich. Wobei „erfolgreich“ vom eigenen
Blickwinkel zu sehen ist. Nicht für jeden ist Erfolg gleich zu setzen mit Geld
oder berühmt zu sein.
Immer wieder blitzen helle Gedanken im trüben Text auf.
Leider werden diese nicht verfolgt und von den folgenden unbedeutenden Aussagen
schnell wieder verschüttet.
Sind die existierenden Ratgeber unbefriedigend, muss der
Antiratgeber her.
Wir sind gegen alles, was schon einmal gesagt, geschrieben,
gezeigt oder publiziert wurde. Auffallen und provozieren! Der richtige Weg
bemerkt und/oder berühmt zu werden?
Wenn Selbstverbesserung / Weiterentwicklung nicht möglich
ist, warum gibt Rebecca Niazi-Shahabi dann überhaupt Seminare zum Thema Charisma? Wer
geht zu einem Seminar, bei dem die Trainerin nicht an das Ergebnis glaubt?
Schließlich geht es hierbei doch auch um Veränderung und Verbesserung.
Für mich klingt das Alles mehr nach persönlichem Frust.
Wenn es nach der Autorin geht, kann man sich eigentlich nur
erschießen, denn alles, was kommt, ist schlecht für mich oder aber ich geh an
Langerweile ein. Es gibt einfach keine Hoffnung. Das richtige Buch für
Selbstmörder. Es liefert massig Argumente, um dem Leben schnell ein Ende zu
setzen. Doch wie passt dies mit dem extremen Wunsch der Autorin, immer im
Mittelpunkt zu stehen, zusammen? Ist dieses Buch für sie selbst eine Art „Schreiben
als Therapie“?
Irritiert haben mich die Fragen von Rebecca Niazi-Shahabi am
Ende der Kapitel. Als ausgebildete Journalistin sollte sie die Regeln kennen.
Doch viele der Fragen sind suggestiv und vor allem sind es Doppelfragen. Auch
sind sie keinesfalls selbst erläuternd. Was soll das Ergebnis des Ganzen sein?
Sag ich ja und strenge mich weiter an, oder bin ich ein Lama? Übrigens:
„Lamas und Alpakas sind erstaunlich wachsame und neugierige
Tiere. Sie sind sehr an ihrer Umwelt interessiert, nehmen jede kleine
Veränderung wahr. Ihr Sozialverhalten ist sehr ausgeprägt.“
http://www.begegnung-mit-tieren.de/lama-alpaka-charakter.php
Niazi-Shahabi benennt die vielen Fernsehshows, wie zum
Beispiel DSDS, in denen jungen Menschen ohne eigene Leistung zu erbringen, viel
Geld verdienen wollen. Sorry, bekommen wollen trifft es wohl eher.
Auch beschreibt sie beide Seiten des „berühmt seins". Ja, wo Licht ist, ist auch
Schatten und je heller es scheint, um so mehr Schatten gibt es. Doch will man
die Sonnenseiten des Lebens, muss man die Schattenseiten akzeptieren. Wer macht
sich von den Jugendlichen darüber eigentlich Gedanken? Wer zeigt ihnen, worauf
sie sich einlassen, was auf sie zukommt?
Vor allem aber, welche Rolle spielen
gerade dabei die Medien?
Nachdem ich mich, im wahrsten Sinne der Worte, durch das Buch quälte,
kam doch noch ein Lichtblick. Für mich das wichtigste und auch ernsthafteste
Kapitel des Buches ist das Letzte. Gesellschaftskritisch benennt die Autorin
zum Beispiel den Missstand zwischen Erwartungen und möglichen Leistungen von
Angestellten. Die Anforderungen, die heute an Arbeitnehmer gestellt werden,
sind überzogen und doch versuchen viele Menschen, diese zu erfüllen. Das
Ergebnis:
Kollektives Burn-out
Gerade dieses Thema wäre es wert, genauer untersucht
zu werden. Also Rebecca Niazi-Shahabi – ran an die Recherche.